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Ich habe diese Wohnung von meiner Oma mit viel Glück übernehmen können. Sie wohnte in den 70iger Jahren dort. Sie hat sich dort sehr wohl gefühlt. Es war ihre erste Wohnung mit Fernheizung, denn das Kohlen schleppen wurde mit zunehmenden Alter in ihrer Wohnung in Prester, immer schwieriger. Sie genoss auch die kurzen Wege zum Einkaufen und konnte als Mitglied der Volkssolidarität im Stadt Prag täglich ein köstliches Mittagbrot zu sich nehmen und zahlreiche kulturelle Angebote nutzen. Anfangs war das Wohnen auch noch sehr geordnet, gab es doch sogar einen Pförtner. Erinnern kann ich mich auch daran, dass die breite Fensterfront viele Familienmitglieder zu Festtagen nutzte, um sich die „Schauspiele“ vieler Festumzüge (die Festbühne war direkt schräg gegenüber) von oben anzugucken. Ein beliebtes Spiel unserer Familie war dann, wem es gelingen würde, die meisten Bekannten zu erblicken. Natürlich immer hinter entsprechender Kulisse, war doch eine Beflaggung angeordnet und wehe dem, der sich nicht daran hielt! Gewundert habe ich mich als Kind auch, weshalb meine Oma in der Wohnung alle Ritzen mit dem Zierklebeband aus den Westpaketen „verschönerte“. Ich hätte sie doch viel besser gebrauchen können. Nachdem ich 1982 selbst eingezogen war, bekam ich des Rätsels Lösung. Alle Ritzen waren eine willkommene Einladung für die zahlreichen Mitbewohner in Form von Kakerlaken, trotz regelmäßiger Einsätze von Schädlingsbekämpfern. Den Geruch des Mittels, der sich in allen Dingen festsetzte, habe ich noch heute in der Nase. Neben krabbelnden Tierchen in der Nacht über das Bett bzw. toten Exemplaren in Büchern, auch noch nach dem Auszug 1989 in der neuen Wohnung, erfolgte der Erlebnishöhepunkt mit den Tierchen auf meiner Geburtstagsfeier. Wir waren 12 Personen in der Einraumwohnung und saßen gemütlich zusammen. Zum Abendbrot gab es die altbewährte Soljanka mit getoastetem Weißbrot. Als ich das erste Toastbrot in das Gerät legte und den Hebel zum Einschalten betätigte, liefen von der Hitze verscheucht, einige Tierchen aus den Schlitzen geradewegs auf die Gäste zu. Nun hatten wir ausreichend Gesprächsstoff. Nachdem sich alle Gäste wieder beruhigt hatten, hatten wir natürlich auch die Lästerei auf unserer Seite, von wegen Fleischeinlage und Geiz usw.. Nachdem ich später meinen Schülern als Geschichtslehrerin zum Thema Alltagsleben in der DDR von dieser Wohnung erzählte, kann ich mich in diesem Zusammenhang an eine weitere Begebenheit erinnern. Wir besuchten zu dem Thema DDR Geschichte die Ausstellung am Moritzplatz. Dort spielte der Blaue Bock auch eine Rolle. In einem Vortrag erfuhren wir, dass ca. 32 % der Bewohner (Aussage 2006) inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit waren. „Promt“ wendeten sich natürlich 25 grinsende Schülerköpfe in meine Richtung. Nun hatte ich zumindest zwei neue Erkenntnisse: 1. Nun wusste ich, woher bestimmte Fakten in meinen, vor öffentlichen Gremien, geführten Gespräche stammen könnten und 2. Meine Schüler hatten im Unterricht gut aufgepasst. Ich war stolz mit 18 Jahren meine erste Wohnung hier gehabt zu haben, auch wenn nicht alles heutigen Vorstellungen entsprach. Zu diesem Zeitpunkt war es keine Selbstverständlichkeit, allein so jung eine Wohnung, und dann auch noch in der City mit Warmwasserleitung und Zentralheizung zu bekommen. Nachdem Besuch der Gedenkstätte, erschien dieses Glück einer eigenen Wohnung, noch größer bzw. die Bemühungen meiner Eltern noch wertvoller. Ich war weder Mitglied einer Partei, kein Mitarbeiter der Stasi und war auch keine Krankenschwester im Altstadt. Ich bekam also als „Stino“ diese Wohnung. Die Miete war auch sehr lukrativ, lag sie doch unter 20,00 Mark. Mein damaliger Freund und späterer Mann konnte sich nie wirklich mit dem anonymen Wohnen dort anfreunden, kam er doch aus einer Kleinstadt und einem Einfamilienhaus. Zudem waren die Verhältnisse Ende der Achtziger auch nicht mehr ganz so optimal. Häufiger nutzte man die Hausflure und den Fahrstuhl, um Notdürfte zu verrichten und der warme Keller war häufiger Aufenthaltsort fremder Personen. Mir brachte die Wohnung Glück. Da ich in Potsdam studierte, war sie u.a. mein Joker, um in meiner Heimatstadt wieder eingesetzt zu werden, was mein großer Wunsch war. Als sie dann auch noch ein begehrtes Tauschobjekt 1989 für eine größere Wohnung in Stadtfeld wurde, stand dem Glück unserer kleinen Familie nichts mehr im Wege, denn wir erwarteten unseren Sohn.

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